03 Über sich hinauswachsen: Die Power des „Flow“
Liebe Transformers, liebe Co-Creators, liebe Gestalterinnen und Gestalter einer neuen Zeit!
Im vergangenen VERTICAL-X-Newsletter habe ich über Selbstautorenschaft gesprochen. Also über den Moment, wenn wir vom Opfer der Verhältnisse zu einer aktiv gestaltenden Kraft werden. Wenn wir diesen Sprung geschafft haben, wollen wir in unser Waking Up starten, in die erste große Etappe unserer transformativen Reise. Dabei hilft eine Superkraft: Der Flow.
Flow, auch bekannt als „in der Zone sein“, ist ein psychologischer Zustand, in dem wir vollständig in eine Aktivität eintauchen und uns konzentriert und energetisiert fühlen. Das Phänomen wurde erstmals in den 50ern von dem Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi beschrieben. Er stellte fest, dass Menschen in diesem Zustand ein Gefühl tiefer Zufriedenheit und Freude empfinden. Damals galt das noch als eine Art Mysterium, das nur einige täglich erfahren – Musiker, Malerinnen, Sportskanonen. Heute ist die Neurowissenschaft viel weiter: Wir alle können den Flow erleben und gezielt einsetzen.
Wenn wir das tun, überwinden wir das Rushing, das Hinterherlaufen, den Kampf gegen die erdrückenden Anforderungen. Wir befreien uns durch mehr Flow. Dann wachsen wir über uns hinaus – ganz ohne Krampf und übertriebene Mühe.
Heute arbeiten die Elitesoldaten der USA oder die Silicon-Valley-Genies ganz bewusst mit diesem Zustand. Er ist eben kein Wunder, das vom Himmel fällt, sondern eine Power, die wir uns aneignen können. Das geht durch Konzentrationsübungen, durch kleine Körpertechniken, oder auch durch Sound. (Das kannst du sofort ausprobieren – siehe unten unter “Practices”.) Und ein paar Regeln sind auch noch wichtig: Deine Aufgaben dürfen nicht zu leicht sein, sonst langweilst Du Dich. Und sie dürfen nicht zu schwer sein, sonst reagiert das Gehirn mit Angst. Den Punkt genau dazwischen zu finden, ist die Kunst. Das wird auch in Unternehmen oft vergessen.
Was wir erreichen wollen, ist die so genannte autotelische Erfahrung. Das sind Tätigkeiten, die man um ihrer selbst willen ausführt. Wir können das im Job erreichen, denn die meisten sitzen doch an Aufgaben, die sie mindestens grundsätzlich gut können, vielleicht sogar lieben, und in denen sie gern etwas erreichen wollen.
Vielen steht dabei ihr innerer Gedankenstrom im Weg. Oft ist er sorgenvoll. Das Ego macht sich eben ständig Sorgen. Entwickelt der Markt sich gut? Werde ich gebraucht? Habe ich gute Ideen? Manchmal denken wir so viel nach, dass wir kaum zur eigentlichen Aufgabe kommen. Ich rate Euch: Trennt das voneinander. Du brauchst Zeit, über dich nachzudenken. Die Zeit kommt aber nachher zurück, wenn man nicht während des Jobs immer wieder ins Grübeln verfällt. Nimm Dir einen halben Tag für Dich, dann wirst du in der restlichen Zeit produktiver. Du wirst beyond Ego arbeiten und dich auf die Sache konzentrieren.
Der amerikanische Autor Steven Kotler hat einige weitere Fallen untersucht, die dem guten Flow im Weg stehen. Wir nennen sie die “Flow-Blocker”. Es sind: Ablenkung, Selbstsabotage, fehlende Klarheit, Burnout, Erschöpfung, Überwältigung, Stress, falsches Zeitmanagement, falsches Mindset, und die Mühe mit der Motivation.
Ich kann hier nicht auf alle Flow-Blocker detailliert eingehen, das ist eine intensive, aber schöne Aufgabe für unsere Workshops. Zwei Beispiele möchte ich aber erwähnen. Zunächst das Problem der fehlenden Klarheit: Wir wissen nicht, wie der Tag weitergeht, und nicht, was das nächste halbe Jahr bringt. Das ist nun einmal so. Die Gefahr ist nun aber, dass man grübelt. Der präfrontale Cortex wird überaktiv – und genau das verhindert den Flow. Setz dir lieber ein Fernziel, verfolge es leidenschaftlich. Irrwege sind ok, weil sie lehrreich sind, aber vor allem: Tu etwas! Das setzt Norephedrin und Dopamin im Gehirn frei, die beiden Substanzen für den Flow.
Und noch ein Beispiel: Überwältigung. Wir neigen dazu, zu viele Aufgaben anzunehmen. Das kennen viele von ihrem Job, gerade im höheren Management. Doch Überlastung erzeugt Stress, erzeugt im Nervensystem zu viel Cortisol und Adrenalin, auch das verhindert den Flow. Analysiere dein Leben: Was machst du alles? Was davon ist bedeutend? Alles, was nicht wichtig ist, kann weg. Versuche eine Neubewertung der Dinge: Viele sind gar nicht dringend und eilig. Definiere deine geplante Tagesleistung. Dann weißt Du, wann sie erfüllt ist, wann Du Dein Ziel erreicht hast.
All diese Strukturen helfen, in den Flow zu kommen. Erst in den so genannten Mikro-Flow, den Flow im Kleinen: man vertieft sich in ein Gespräch mit einem Kollegen, ist voll dabei, ganz konzentriert. Und dann in den Makro-Flow: Die Zeit verlangsamt sich, manchmal vergisst man sich oder sieht sich von außen, wird eins mit der Welt. Dann werden Höchstleistungen möglich und fühlen sich doch leicht an. Weil aber die Rahmenbedingungen als erstes stimmen müssen, nenne ich die wichtigsten noch einmal:
- Klare Ziele – nur damit fühlt man, was man tun muss und wie.
- Klares und sofortiges Feedback – nur so weiß man gleich, ob es gut oder schlecht läuft und was noch anzupassen ist
- Die richtige Herausforderung – ideal ist das Gefühl, dass die eigenen Fähigkeiten gerade ausreichen, um die Aufgabe zu meistern.
- Keine Ablenkungen – weder innere noch äußere. Niemand klopft, kein Instagram lenkt ab. So entsteht die Sicherheit, eine Aufgabe effizient erledigen zu können.
Ich möchte dir genau dazu nun einen ganz konkreten Tipp geben, wie du heute noch anfangen kannst: Versuch es mit dem, was wir Single-Focused Work nennen. Mach nur eine Sache, und die aber richtig. Über den Zen-Meister Pai-Chang aus der Zeit der Tang-Dynastie erzählen Buddhisten folgendes Gleichnis: Ein Schüler fragt Pai-Chang: “Meister, was ist deine Art zu leben – was ist das Geheimnis deines Zen?” Der Meister antwortet: “Wenn ich hungrig bin, esse ich, und wenn ich müde bin, schlafe ich.” – “Aber das tun wir doch alle«, sagt der Schüler. “Was ist daran besonders?” Da antwortet der Meister: “Wenn ihr esst, habt ihr tausend Gedanken und seid im Da und Dort, und wenn ihr schlaft, habt ihr in euren Träumen viele Ängste und Wünsche. Doch wenn ich esse, esse ich und sonst nichts. Und wenn ich schlafe, schlafe ich und sonst nichts. Das ist das Geheimnis meines Zen.”
Heute könnte man ergänzen: Ihr schaut beim Essen auf das iPhone, ihr denkt beim Joggen an den Google-Kalender. Das Problem: So wird man nie voll produktiv, so kommt man nie in den Flow. Vladimir Horowitz hat an nichts anderes gedacht, als er im Konzertsaal seine genialen Interpretationen von Rachmaninov und Tschaikowski spielte. Und Muhamad Ali war ganz im Moment bei seinen Kämpfen. Lern von den Großen! Mach nur eine Sache, die aber richtig. Wenn Du am Handy scrollen möchtest, dann räum Dir dafür eine halbe Stunde am Tag ein und mach es ganz. Und dann geh an Deine wahren Aufgaben, und widme Dich ihnen mit all Deiner Kraft.
Euer Achim