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07 Schattenarbeit: Wie du einen echten Durchbruch und neue Entwicklung schaffst 


von Achim Feige

Liebe Transformers, liebe Co-Creators, liebe Gestalterinnen und Gestalter einer neuen Zeit!

Im vorigen Text haben wir über “Facing Fears” gesprochen. Ängste anschauen. Das war ein erster Schritt, scheinbar unangenehme Dinge anzusehen und ihr Potenzial zu entdecken. Wer das in Angriff genommen hat, kann jetzt sogar noch etwas weiter gehen. Denn wenn ich wirklich einen Durchbruch will in die Höhe, muss ich in die Tiefe gehen, in die metaphorische Dunkelheit:

Heute möchte ich über das reden, was wir Schattenarbeit nennen.

Der Schatten ist der Anteil von mir, den ich nicht sehe. The Me I can’t see. Warum ist das wichtig? Es hat mir unserer Entwicklung zu tun: Wir werden in die Welt hineingeboren und werden erst zu uns selbst uns auf der Basis von Feedback, etwa durch unsere Eltern, später auch Schule, Peer-Group, usw. Unsere kulturelle Prägung erzieht mit. Und was die Gesellschaft als gut oder böse empfindet, schreibt sich tief in uns ein. Schon im Alter von fünf Jahren fangen Kinder an, moralisch zu beurteilen. So entwickeln wir unsere Persönlichkeit. Und unser Ego übernimmt bald die Funktion, diese Persönlichkeit zu schützen und stabil zu halten.

Zieh neue Kräfte aus dem, was abgespalten ist!

Dabei gibt es ein Problem: Wahre Entwicklung liegt genau in dem Rest, der dabei negiert wird, und der nicht mehr dazu gehören darf. Wahre Entwicklung liegt in allem, von dem man sagt: “Das bin ich nicht! Das tut man nicht!” Denn das sind die Dinge, die man abgespalten hat. Oft wurzeln diese Abspaltungen in sehr alten Erfahrungen, mit denen man nichts mehr zu tun haben will.  Vielleicht waren es unangenehme, manchmal sogar traumatische Erlebnisse. Das sind die Dinge, die wir dann später nicht mehr sehen wollen. Wir sind überzeugt, dass wir uns davon trennen müssen. Die Summe all dieser unangenehmen Erfahrungen, die wir nicht mehr wollen und oft nicht einmal mehr ansehen wollen, diese Summe nennt sich der Schatten.

Das Wort stammt von Sigmund Freuds berühmtesten Schüler, der bald ganz eigene Wege ging, von dem Psychoanalytiker Carl Gustav Jung. Er nannte ihn die versteckte Seite der menschlichen Psyche. Der Schatten ist alles, was dem Selbstbild entgegensteht. (Aber schon C. G. Jung sagte, dass er nicht nur “Böses” umfasst, sondern auch viele Dinge, aus denen positive Entwicklungsimpulse kommen können.)

Heute würde ich es so ausdrücken: Der Schatten ist die Summe aller ignorierten, unterdrückten, unerforschten Anteile von uns selbst. Und das ist viel. Der Schatten ist riesig. Es gibt einen individuellen und einen kollektiven Anteil. Der kollektive Teil umfasst das, was uns alle betrifft, etwa wenn wir in unserer Kultur von uns sagen, wir sind christlich geprägt, modern, westlich geprägt. Dann liegt alles andere, was nicht dazu passt, mehr oder minder im Schatten. Das ist das andere, das Fremde.

Es gibt einen kollektiven und einen individuellen Schatten. Von beiden können wir lernen.

Ein kollektiver Schatten ist auch das Getrenntsein von der Natur, unter dem wir heute leiden. Das menschenzentrierte Weltbild hat uns weiter von der Natur entfernt – macht Euch die Erde Untertan, heißt es schon in der Genesis, gleich auf den ersten Seiten der Bibel. Auch im Denken haben wir heute die Natur von uns abgetrennt. Doch auch diese Haltung ist unproduktiv. Wenn wir heute wieder fühlen, ein Teil der Natur zu sein, verbinden wir uns zurück – und können einen alten kollektiven Schatten langsam auflösen.

Auf das Individuum bezogen könnte man sagen: Alles aus unserer Vergangenheit, was uns nicht erfolgreich gemacht hat, was nicht funktioniert hat, das ist Teil des sogenannten Schattens geworden. Aber wenn man sich entwickeln will, liegt das größte Potenzial genau dort. Überall dort, wo man sagt: “Das bin ich nicht, das macht man nicht, das sind die anderen, damit habe ich nichts zu schaffen.” Dort jetzt trotzdem hinzuschauen, das ist unsere Arbeit.

Wir sind auf dem Berg gestiegen. Jetzt geht’s daran, auch einmal tiefer zu graben, in die Schatten. Einmal zu schauen auf das Abgespaltene, auch auf die Traumata, denn sie sind gefrorene Erlebnisse, die uns überwältigt haben. All das wollen wir nun beleuchten. Dann verbinden wir uns damit und integrieren es und können wachsen, weil wir mit unseren Blockaden in neuer, guter Verbindung stehen.

Für bewusste Selbstentwickler ist die Schattenarbeit der tiefste Weg mit dem größten Potenzial. Der Königsweg, um sich zu befreien und echte Selbstautoren zu werden.

Es gibt kein Allgemeinrezept: Deine ganz persönliche Erfahrung zählt.

Wie löst man sich von den eben erwähnten Blockaden? Wir wollen in einen Zustand kommen, in dem wir sagen „Ich bin“ statt zu sagen „Ich unterdrücke das“. Geh dabei von Deiner ganz persönlichen Erfahrung aus. Das Thema Schatten hat immer mit persönlichen Erfahrungen zu tun. Ein Beispiel: Vielleicht watst Du als Kind oft laut war und kreativ und hast diese Seite auch ausgelebt. Und dann wurde oft gesagt: ”Lass das, das macht man nicht.” Deine Eltern haben vielleicht Maßregeln ausgesprochen: “Am Tisch ist man ruhig. Man ordnet sich ein und diszipliniert sich.” Immer dieses „man“ – das kennen viele von uns, leider. Was wird passieren? Das Kind kann sich nicht wehren, ist abhängig von der Fürsorge der Eltern. Es unterdrückt diesen Anteil also. Vielleicht wird es dann belohnt, wird zu einer beliebten Persönlichkeit, die gut in ihr Umfeld passt. Aber man hat diesen kreativen Anteil quasi in den Keller versteckt. Ab und zu kommt er heraus, im Überschwang, aber nicht mit Bewusstheit und Weisheit. Er ist zu tief in die Welt des Schattens hinübergewandert. Du kannst ihn nicht mehr produktiv nutzen.

Das gilt selbst dann noch, wenn Du zu einer gewissen Idealisierung dieser Seite neigst, wie viele von uns. Denn eines, was oft passiert, ist dann: Man projiziert diese Freiheit (die man sich selbst untersagt hat) nach außen, und dann verehrt man Steve Jobs, Elon Musik oder Arnold Schwarzenegger. Wie die tun was sie wollen! Wie diese Menschen ihre Grenzen stets neu überschreiten, sich immer wieder erweitern! Wow! Dabei verehren wir an ihnen aber eigentlich die Kreativität, die wir in uns selbst unterdrückt haben. Das nennt man Golden Shadow.

Beides ist ein Schatten. Ob wir ind die Abwertung anderer gehen oder in die Überhöhung. Produktiv ist beides nicht. Wir müssen etwas anderes probieren. Nämlich hinschauen, was uns da aus dem Schatten heraus antreibt. Hinsehen! Denn:

Der Weg in die Dunkelheit ist der schnellste Weg zum Licht.

Wenn man hinschaut, kommt das Unbewusste langsam ans Licht. Dann verwandeln sich die gebundenen, negativen Elemente in nützliche Energien. Dann können wir transformieren, was uns blockiert, und entfaltet man sich. Ein Guru führt seine Schüler aus der Dunkelheit ans Licht – das ist die altindische Urbedeutung dieses Wortes.

Als eine konkrete Übung möchte ich Dir dazu heute die 3-2-1-Technik des US-amerikanischen Philosophen Ken Wilber mitgeben. Du findest eine einfache Anleitung weiter unten im Newsletter unter “Practice”. Aber ein Überblick gebe ich Dir schon jetzt: Bei der “3-2-1-Arbeit” macht man sich in drei Schritten bewusst, worum es bei einer (ablehnenden oder negativen) Emotion wirklich geht. Die drei Schritte lenken den Blick von außen nach innen, jede Stufe ist mit Pronomen verbunden: 3 – er/sie, 2 – du, 1 – ich. Das klingt kompliziert, ist aber ganz einfach, hier ein Beispiel: Wir beginnen mit einer Beobachtung in der Außenwelt. (3) Etwa: “Kollege Tilman ist schon wieder zu spät gekommen!” Zuerst er, da schauen wir auf ihn: Was löst er aus? Das macht mich wütend! (2) Nun stell Dir vor, Du würdest ihn ansprechen, jetzt geht es um die “Du”-Ebene. Nur imaginär, er wird davon nie erfahren. Nun lauten die Sätze etwa: “Du bist immer so verdammt unpünktlich! Das macht mich wahnsinnig.“ Und schließlich sei der andere und schau wie von außen auf Dich (1) – schau Dein Ich an, aus der Perspektive des Schattens. Vielleicht kommt dann etwas wie: “Diese Freiheit würde ich mir auch gern einmal nehmen. Ich wurde in der Schule angeschrien, wenn ich zu spät kam, und habe es bald aus Angst vermieden.”

Das ist die 3-2-1-Technik. Am Ende haben wir etwas ganz Neues, über das wir nachdenken und mit dem wir arbeiten können.

Stell Dir Deinen Schatten-Leader vor!

In meinen Seminaren und Workshops rege ich dazu an, ganz konkret in Deinem Leben und Berufsleben zu schauen: Welche Menschen nerven mich oder strengen mich an? Mit wem vermeide ich den Umgang? Wer sind diese Leute, von denen Du spontan denkst, so bin ich aber nicht als Leader! Schreib das einmal auf. Und schreib dann auch Dinge dazu, die Du an Dir selbst nicht magst. Visualisiere Dir danach einmal: Was ist eigentlich der größte denkbare Schatten-Leader, den ich mir vorstellen kann? Eine ganz negative Führungsfigur, die alles verkörpert, was Du verachtest. Stell sie Dir vor!

Geh auf eine Fantasiereise, in der Du diese Figur triffst. Gib ihr vielleicht einen Namen, mal sie Dir genau aus. Und dann frage dieses innere Bild: Hey, Shadow-Leader, wer bist Du? Was willst Du von mir, was kann ich von Dir lernen?

Wenn man das macht, tauchen oft starke negative Figuren auf. Agressive Väter, autoritäre Mütter, frühere Chefs, die einen verletzt haben, unmoderne Lehrer, die einen unterdrückt haben. Früher einmal haben sie uns Angst eingeflößt oder vielleicht Druck ausgeübt. Heute machen wir uns davon frei und schauen sie einmal neutral an.

Wenn wir uns das also vorgestellt haben, fragen wir: Was hast Du mir mitgegeben? Sind da auch Dinge, die ich beneide? Bei denen ich dazulernen könnte? Bei denen ich etwas unterdrücke in mir?

Das könnte sein: Der Wille, Dinge besser zu machen. Die Energie, die Entscheidungskraft, einfach zu machen, voranzugehen. Die Kraft, weniger zu lamentieren, innere Stärke und Klarheit zu zeigen. Das trat zwar damals auf unglückliche und übergriffige Art und Weise in unser Leben. Aber heute verbinden wir uns nun im Rückblick mit dieser Energie und ziehen zum ersten Mal etwas Positives aus dem einst unangenehmen Erlebnis. Wir machen es nutzbar für uns!

Im abschließenden Schritt kann man dann für einen Moment ganz in diese Vergangenheit gehen und diese Person werden, die damals so negativ war. Wir verbinden uns damit und nehmen zum Beispiel eine Lust mit, voranzukommen.

So kann man diesen alten Schatten, der früher außen war, als innere Kraft nutzen und achten.

Heute ist viel von dem Phänomen “Trauma” die Rede, man muss sich nur die aktuellen Buchveröffentlichungen ansehen und wird das bestätigen können. Trauma umfasst sicherlich bei manchen Menschen gewaltvolle, bedrohliche Lebensereignisse, die natürlich in einer Therapie behandelt werden sollten. Aber Trauma umfasst auch Krisen, die uns alle betreffen. Der Sachbuchautor und Traumatherapeut Thomas Hübl zieht Paralellen zwischen den Begriffen Schatten und Trauma. Nach einem Trauma entsteht auch ein Anteil, zu dem wir keine Verbindung mehr haben, etwas Abgespaltenes. Es geht auch dann darum, das Abgespaltete wieder zu integrieren. So entsteht auch ein neuer Abstand, das Erlebnis kann dabei seinen Schrecken verlieren und uns nicht mehr beherrschen. Schließlich fühlen und fürchten die Betroffenen beim Trauma, dass das alte Erlebnis wieder da sein könnte, wenn ein (neuer) Auslöser ins Leben kommt.

Das muss aber nicht so sein. Weder beim Trauma, noch beim Schatten. Natürlich wird sich nicht alles ad hoc auflösen. Die Schattenarbeit ist ein Weg. Je eher Du ihn einschlägst, umso besser. Umso mehr wirst Du ganz neue Potenziale entdecken und freischalten können. Potenziale, die man nicht sieht, wenn man nicht in das Dunkle hineinsieht.

Dein
Achim